Wirtschaftsspiegel Thüringen 2/2015 - Thüringer Schätze - page 31

Frühes Unternehmertum
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Foto: Wikipedia
ger als in den Hohen Schulen, in
Werkstätten oder an Wirtshaustischen.
Hört, hört, was zu jener Zeit sich in der
großen Welt ereignet: Über ganz Europa
breitet sich die Buchdruckerei aus;
Leonardo da Vinci entwickelt das Mo-
dell einer Flugmaschine und malt etwas
später das berühmte Gemälde „Mona
Lisa“; die heute selbstverständliche
Bezeichnung „Deutschland“ setzt sich
für das Gebilde von 350 weltlichen und
geistlichen Territorialstaaten durch – es
erscheint die erste gedruckte Deutsch-
landkarte; der Seefahrer Christoph Ko-
lumbus macht in Häfen von Cuba, Haiti
und den Bahamas fest – der amerikani-
sche Kontinent ist entdeckt; in Witten-
berg wird die erste landesfürstliche
Universität Deutschlands gegründet;
der Nürnberger Peter Henlein baut trag-
bare Uhren mit Federzug; eine erste
Druckschrift mit der Bezeichnung „Zei-
tung“ erscheint; der mitteldeutsche
Bergbau boomt, unvorstellbar schwere
und gefährliche Arbeitsbedingungen
führen zu ersten Streiks.
Unterwegs in diesem Zeitenlauf ist
auch Lucas Cranach d. Ä. Nach Lehr-
und Wanderjahren, die ihn u. a. nach
Wien verschlagen, trifft den 33-jährigen
Künstler – aus heiterem Himmel? – ein
Karrieresprung: Der sächsische Kurfürst
Friedrich III. der Weise (1463–1525),
beruft ihn zum Hofmaler nach Witten-
berg an der Elbe. Drei Jahre später wird
er dem Maler seines Vertrauens das
Privileg eines vererbbaren Wappens
nachreichen. Die inzwischen unterneh-
merisch betriebene, nahe dem Witten-
berger Schloss und dem Markt gelegene
Werkstatt verlassen ab 1508 nur noch
Gemälde und Grafiken, an deren Rän-
dern eine geflügelte Schlange mit ei-
nem Rubinring im Maul zu sehen ist.
Das gilt auch für jenes bis heute am ur-
sprünglichen Aufstellungsort zu bestau-
nende Werk, den Flügelaltar in der
Stadtkirche St. Johannis in Neustadt an
der Orla. Am Montag, dem 14. Juni
1512, trafen von Wittenberg kommend
in dem thüringischen Ort drei Fuhren
mit einer kostbaren Last ein. Die Neu-
städter Bürger Nicolaus Clingenstein
und Hans Dornberg hatten in Beglei-
tung von zwei Knechten die „nawe taf-
feln“ aus der Werkstatt von Lucas Cra-
lich, wenn man weiß, dass sich die Auf-
gabe des Hofmalers und seiner Werk-
statt nicht in der Fertigung von Gemäl-
den religiösen und mythologischen
Inhalts sowie von Porträts, Holzschnit-
ten und Kupferstichen erschöpfte. Noch
vorhandene Rechnungen belegen, dass
dies vom Gesamtumfang des Werkstatt-
schaffens nur zirka zehn Prozent aus-
machte. Die meisten und wirklichen
Großaufträge betrafen Bereiche, die für
uns heute außerhalb künstlerischer Tä-
tigkeit liegen, wie etwa das Ausmalen
und Ausstatten von Schlössern und Bur-
gen (Torgau, Wittenberg, Coburg, Held-
burg) oder von Plätzen für Turniere.
„Sooft die Fürsten Dich mit zur Jagd
nehmen, führst Du eine Tafel mit Dir,
auf der Du inmitten der Jagd darstellst,
wie Friedrich einen Hirsch aufspürt oder
Johann einen Eber verfolgt, was be-
kanntlich den Fürsten kein geringeres
Vergnügen gewährt, als die Jagd selbst“.
Das schrieb Christoph Scheurl, Rektor
der Universität Wittenberg, 1509 in ei-
nem Brief an Lucas Cranach d. Ä. So ist
belegt, dass der Maler mit seiner „Tafel“
etwa bei fürstlichen Jagden in den Re-
vieren von Neustadt, Sonneberg, Schal-
kau, Jüdenbach und Heldburg zugegen
war. Von den in jener Zeit entstandenen
„Bildreportagen“ Cranachs sind nicht al-
le entschlüsselt und daher mit Blick auf
Entstehungsort und -zeit schwer zuzu-
ordnen. Bis in die Gegenwart kann nie-
mand seriös sagen, wie viele Werke un-
ter der Regie von Vater Cranach, dessen
beiden Söhnen Hans und Lucas oder di-
rekt unter den Händen der Künstler na-
mens Cranach entstanden sind. Floriert
jedenfalls hat das Geschäft mit der
Kunst, sonst wären die Cranachs nicht
die zu ihrer Zeit reichste und einfluss-
reiche Familie in Wittenberg geworden.
Die Inschrift auf der in der Weimarer
Herderkirche aufbewahrten originalen
Grabplatte für Cranach d. Ä. (Kopie auf
dem Jacobsfriedhof) geht übrigens so:
„Im Jahr des Herrn 1553 am 16. Oktober
verschied in Frömmigkeit Lucas Cra-
nach I., der schnellste Maler und Wit-
tenberger Ratsherr, der durch seine Tu-
gend drei sächsischen Kurfürsten und
Herzögen sehr teuer war, im Alter von
81 Jahren.“ Ein Schelm, wer Arges dabei
denkt? (hs)
nach abgeholt. In einem weiteren Wagen saßen Matt-
hes, der Bruder von Lucas Cranach d. Ä., ein Geselle
und dessen Frau. Gut eine Woche später war das von
den Neustädtern während einer Messe in Leipzig in
Auftrag gegebene Werk vollbracht, der neue Altar
wurde geweiht. Die sich aufeinander beziehenden
Teile zeigen Szenen aus der Bibel und aus mittelalter-
lichen Legenden. Das Werk hat eine Spannweite von
fünf und eine Höhe von sieben Metern. Dank dem
Eingreifen Martin Luthers ist der Altar vor der Zerstö-
rung durch die Bilderstürmer bewahrt worden. In den
Kirchenbüchern zu findende Rechnungen lassen nicht
nur den Weg des Werkes vom Auftrag bis zur Weihe
durch den Bischof verfolgen, sondern auch die Kosten.
So wurden zum Beispiel „105 alt Schock dem Maler
Meisterlucas Bruder gegeben Als er die taffel gesatzt
hat am Abend Johannis Baptiste.“ 5 Schock Fuhrlohn
erhielt demnach Clingenstein, über neun Schock „hat
vertzert Hans Dornberg mit 2 Knechten, mit 4 der stat
pferden … mit den malern vff 6 person vnd 6 pferden.“
Dem Erfurter Wissenschaftler-Ehepaar Frau Professor
Sabine Maier und Herrn PD Dr. rer. nat. et med. habil.
Rüdiger Maier war dieser Altar vor einigen Monaten
Anlass für eine Untersuchung, die auch neue Er-
kenntnisse zur Arbeitsweise und Organisation in der
frühen Cranach-Werkstatt hervorbrachten. Mittels ei-
ner speziellen Kameratechnik – das Verfahren heißt
Macro-Infrarot-Reflektographie – lassen sich auf dem
Bildträger eines Gemäldes Unterzeichnungen erken-
nen, die dem menschlichen Auge verborgen bleiben.
Die Spezialkamera gibt quasi das Bild vor dem Bild, in
unserem Falle also den Cranach unter dem Cranach,
zu erkennen. Nach der „Auflösung“ des Altargemäldes
in zirka 10 000 Fotos der Größe 4 x 5 Zentimeter wur-
de so auch sichtbar, dass der schon zu Lebzeiten als
„Schnellmaler“ bezeichnete Lucas Cranach d. Ä. gewiss
mit so etwas wie Schablonen gearbeitet haben muss.
Frau Maier nennt derlei Standardvorlagen etwa für die
später in den Bildern fixierte Haltung von Armen oder
Beinen gern „Detailkartons“, die Italiener nutzen da-
für das klangvolle „Cartocino“ (kleine Kartons).
Dass der Meister mit seiner Werkstatt „Rationalisie-
rungen“ dieser Art unbedingt brauchte, wird ersicht-
... hab
aber viel
zu schaffen.
Lucas Cranach d. Ä.
(1472–1553),
Künstler und
Unternehmer
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